Hypothese

“Am Anfang unserer Recherchen steht eine Vermutung, die zwar frappant, aber so neu gar nicht ist. So schreibt beispielsweise Hildesheimer zum Stichwort »Mord durch Quecksilber«:

In dieser Richtung hätten wir nur wenig weiterzudenken, und wir wären bei dem Verdacht, daß eine Quecksilberbehandlung nicht dem Mord, sondern der Behandlung einer Lues gegolten hätte. Sie schlüpft ja ins Gewand so mancher Krankheit; ein Tatbestand übrigens, der schon einigen Biographen dazu gedient hat, die Krankheitsgeschichte ihres jeweiligen Helden zu verschleiern oder zu beschönigen.2

Wir haben weitergedacht – und die Ergebnisse unserer Nachforschungen lassen nur eine Schlußfolgerung zu, die dann auch alle Widersprüche und Wunderlichkeiten, die im Zusammenhang mit Mozarts dunklem Ende wabern, im Nichts auflöst:

Mozart infiziert sich an der Lues, bezieht von Baron Gottfried van Swieten quecksilberhaltige Medizin, wendet eine Überdosis an und stirbt an Nierenversagen.

Eine solche Behauptung muß natürlich unter den Verehrern des Genies wie ein Affront wirken. Gilt das Wunderkind aus Salzburg vielen Musikliebhabern in aller Welt doch zumindest als musikalischer Halbgott, der über allem Irdischen in entrückter Erhabenheit schwebt und vor jedem Zugriff zu schützen ist. Dabei gestatteten sich bekanntlich selbst die Götter des Olymp die gewagtesten amourösen Eskapaden – und schadeten ihrer Verehrung nicht im geringsten. Wie gesagt, der Verfasser reklamiert für sich keinerlei Originalität. Der betreffende Verdacht wurde bereits mehrfach geäußert und auch veröffentlicht, und es muss irritieren, daß ihm kaum nachgegangen wurde.

Es mutet seltsam an, daß so viele bedeutende Männer, welche sich ausgiebig und von Berufs wegen mit dem Leben und Sterben dieses begnadeten Tonkünstlers auseinandergesetzt haben, über die eklatantesten Auffälligkeiten seines Endes flüchtig hinweggelesen haben. Weder Prof. O.E. Deutsch, Wiener Händel- und Schubert-forscher, der Jahre seiner intellektuellen Tätigkeit zudem Mozart gewidmet hat, noch die bestrenommierte Internationale Stiftung Mozarteum zu Salzburg mit all ihren Originalquellen und ihrem überwältigenden wissenschaftlichen Apparat wollen das Offensichtliche bemerkt haben. Anscheinend ist es einem fachfremden Mozartliebhaber vorbehalten, genügend Courage und wissenschaftliche Unvoreingenommenheit aufzubringen, die Wahrheit zutage zu fördern.

Kurzum, es steht zu vermuten, daß die hier vertretene These bereits manche professionellen Mozartforscher – nur im Stillen – gehegt, manche von ihnen sogar handfeste Beweise hierzu gesehen haben. Ja, wir wagen zu behaupten, daß Schriftstücke, welche Mozarts Ende ganz eindeutig benennen, alle Säuberungen überlebt haben und noch heutigen Tages in wohlversiegelten Gefäßen an wohlverschlossenen Orten schlummern, zu welchen nur die Hohenpriester des Mozartkultes Zugang haben. Die Witwe Nissen – weiland Witwe Mozart – hat mit rascher Hand gesondert, verbannt und verbrannt; Deutsch beispielsweise mag in ihrem Sinne entschieden haben, was der geduldigen Mozartgemeinde einerseits frommt und behagt und was andererseits ihrem Seelenfrieden abträglich sein könnte.”